Artikel 85 EU-DSGVO: Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

  1. Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang.

  2. Für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

  3. Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 2 erlassen hat, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften mit.

Kommentar zu Art. 85 DSGVO

Was sagt Art. 85 DSGVO aus?
 

Art. 85 DSGVO sieht eine Einschränkung des Datenschutzrechts durch das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit vor. Zum Zweck dieser Konfliktlösung enthält Art. 85 Abs. 1 DSGVO einen Regelungsauftrag für die einzelnen Mitgliedstaaten. Danach soll ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen Art. 8 Abs. 1 GrCh (Grundrechte-Charta) (Schutz personenbezogener Daten) und Art. 11 Abs. 1 GrCh (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) sowie der Verarbeitung zu journalistischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken in Form einer Abwägung erfolgen. Art. 13 GrCh (Freiheit der Kunst und Wissenschaft) ist damit ebenfalls miteinzubeziehen. Der Begriff „Journalismus“ ist nach Erwägungsgrund 153 weit auszulegen. Unter einer Verarbeitung für journalistische Zwecke fallen daher Daten, die im Zusammenhang mit der journalistisch-redaktionellen und damit meinungsrelevanten Tätigkeit stehen. Zum Journalismus zählt dabei nicht nur die professionelle Presse, sondern auch Telemedien, Rundfunk, Nachrichten- und Pressearchive. Er erfasst darüber hinaus auch Personen ohne journalistische Ausbildung, die enthüllende Recherchetätigkeiten vornehmen. Es muss sich bei der Verarbeitung jedoch um sorgfältig recherchierte und wahrheitsgemäße Daten handeln. Sogenannte „Fake News“ sind also aufgrund des Schutzes der Persönlichkeit nicht umfasst. Literarischen Zwecken dient die Recherche für belletristische Werke, aber auch für Sach- und Fachliteratur und Datenbestände von selbstständigen Buchautoren. Der Kunst oder Wissenschaft dienen z. B. auch Darstellungen einer abgebildeten Person oder die Auswertung medizinischer Erkenntnisse, die durch Menschen gewonnen wurden.

Den Mitgliedstaaten bleibt grundsätzlich selbst überlassen, welche Mittel sie dabei verwenden und welche Regelungen sie treffen, wobei sie an das Unionsrecht sowie die Rechtsprechung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) gebunden sind. Daher sind bei dem Ausgleich, neben den Grundrechten der Charta, die Urteile des EuGH sowie des EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) zu beachten. So geht etwa aus der Entscheidung des EuGH zu „Google Spain“ hervor, dass vor allem die Sensibilität der Information sowie das öffentliche Interesse an dieser Sensibilität zu beachten sind.

Nach Abs. 2 sollen die Mitgliedstaaten zum Schutz der Meinungs-, Informations-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit Ausnahmen von bestimmten Regelungen der DSGVO schaffen. Dies gilt jedoch nicht für alle Kapitel der DSGVO, sondern nur für die Kapitel II-VII und IX. Regelungen über Rechtsbehelfe, Haftungen und Sanktionen bleiben damit unberührt. Außerdem müssen die Ausnahmen nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO für den Schutz der genannten Bereiche erforderlich sein. Im juristischen Sinne ist eine Maßnahme erforderlich, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das in gleicher Weise dazu geeignet ist, den gewünschten Zweck zu erzielen. Erforderlich ist eine Abweichung von Datenschutzbestimmungen zumindest in den Fällen, in denen diese Bestimmungen zu einer unzumutbaren Einschränkung der genannten Kommunikationsfreiheiten führen würden. Die Ausnahmen bzw. Abweichungen müssen durch Rechtsvorschriften (sog. Privilegierungsvorschriften) geregelt werden. Diese Privilegierungsvorschriften müssen so gestaltet sein, dass in Kollisionslagen eine Lösung gefunden wird, bei der nicht das eine Grundrecht hinter das andere zurücktritt (praktische Konkordanz). Die alte Fassung des BDSG enthielt ein solches nationales Medienprivileg, welches jedoch in der neuen Fassung fehlt. Lediglich für die elektronische Presse, das ZDF und das Deutschlandradio gibt es Regelungen in § 57 Abs. 1 RStV (Rundfunkstaatsvertrag), § 17 ZDF-Staatsvertrag und § 17 Abs. 1 Deutschlandradio-Staatsvertrag zur Erleichterung der Verarbeitung. Diese sind jedoch für eine Umsetzung des Art. 85 Abs. 2 DSGVO zu allgemein formuliert. Auch einzelne landesrechtliche Privilegierungsvorschriften wie § 54 S. 1 Medienstaatsvertrag Berlin und Brandenburg sind vergleichbar mit der des § 57 Abs. 1 RStV und entweder ebenfalls zu allgemein formuliert oder mit einem Verweis auf solche Vorschriften versehen, die den Anforderungen des Art. 85 DSGVO nicht genügen. Die landesrechtlichen Bestimmungen bedürfen also weiterhin einer Anpassung an diese Vorschrift, wobei Abs. 2 und 3 darüber hinaus sowieso nationale Vorschriften fordern.

Alle Mitgliedstaaten haben nach Abs. 3 die Pflicht, ihre nach Abs. 2 erlassenen Rechtsvorschriften zum Zwecke der Kenntniserlangung der Kommission mitzuteilen sowie diese unverzüglich über Änderungen dieser Vorschriften zu informieren.

Wie ist das Verhältnis zu Art. 89 DSGVO?
 

Da sowohl Art. 89 Abs. 2 DSGVO als auch Art. 85 Abs. 2 DSGVO Abweichungen von Datenschutzbestimmungen für Verarbeitungen zu wissenschaftlichen Zwecken bzw. Forschungszwecken vorsehen und sich dabei gegenseitig widersprechen, muss geklärt werden, wie das Verhältnis der beiden Regelungen zu verstehen ist. Da der Regelungsinhalt des Art. 89 Abs. 2 DSGVO von Art. 85 Abs. 2 DSGVO umfasst ist, bleibt für eine eigenständige Bedeutung des Art. 89 Abs. 2 DSGVO ggf. kein Raum. Im Gegensatz dazu wird man wenigstens die Garantien nach Art. 89 Abs. 1 DSGVO neben Art. 85 DSGVO im Wege der Spezialität anwenden können. Endgültig geklärt ist das Verhältnis der beiden Normen bis dato noch nicht.

Was hat sich geändert?
 

Da schon das alte BDSG in seinen §§ 41 und 42 i. V. m. den Landesgesetzen ein solches Medienprivileg gegenüber dem Datenschutz vorsah, ist diese Regelung nicht von Grund auf neu. Neu ist jedoch die Pflicht zur verhältnismäßigen Abwägung sowie die Pflicht zum Erlass der daraus resultierenden gesetzlichen nationalen Regelungen für alle EU-Mitgliedstaaten.

Welche Folgen ergeben sich aus Art. 85 DSGVO?
 

Durch diese Vorschrift sollen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten reduziert werden. Folgen ergeben sich insbesondere für Verantwortliche und Auftragsverarbeiter, die mit personenbezogenen Daten arbeiten, die den genannten Kommunikationsbereichen dienen. Insbesondere kommt die Frage auf, ob die DSGVO bis zum Erlass einer nationalen Regelung unmittelbar auf diese Kommunikationsbereiche anzuwenden ist, womit die Gerichte bei ihrer Entscheidung keine Medienprivilegierungen beachten dürften. Jedenfalls wird zunächst nach den §§ 57 Abs. 1 RStV, 17 ZDF-Staatsvertrag, 17 Abs. 1 Deutschlandradio-Staatsvertrag verfahren sowie, für den privaten Rundfunk, die landesrechtlichen Bestimmungen angewendet. Unsere externen Datenschutzbeauftragten beraten Sie und Ihr Unternehmen bei Unsicherheiten gerne zu allen datenschutzrechtlichen Fragen.

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