Stellen Sie sich vor, Sie wollen Tante Erna besuchen. Sie waren eine Zeit schon nicht mehr da, weil Tante Erna immer über ihre Zipperlein jammert. Also ringen sie sich endlich mal wieder durch, gehen zu Tante Ernas Block, wollen klingeln – aber Ernas Name steht nicht mehr auf der Klingel. Nur Apartmentnummern. In welchem Stock wohnt Erna jetzt noch? Ist dies etwa die ersehnte Gelegenheit, auf den Besuch bei der buckeligen Verwandtschaft zu verzichten? Tante Erna nicht gefunden, weil der Datenschutz dazwischenkam?
Türklingel und Datenschutz – unvereinbar?
Spulen wir zurück: Ende 2018 schraubt eine Hausverwaltung in Wien bei von ihnen verwalteten Mietshäusern die Klingelschilder ab. Der vermeintliche Grund: DSGVO und Klingelschild geht nicht. Wäre irgendwie amüsant gewesen, wenn es nicht fast eine Viertelmillion Türklingeln betroffen hätte – und das alles nur, weil sich ein einziger Mieter unter Berufung auf die DSGVO darüber beschwert hatte, dass sein Name für alle sichtbar auf der Türklingel steht. Die Hausverwaltung reagierte, ohne zu prüfen, ob Klingelschilder gegen die DSGVO verstoßen – und löste das Klingelgate aus. Der Vorfall schwappte über die Grenze nach Deutschland und der größte deutsche Immobilieneigentümer-Verband holte sich medienträchtig die größte deutsche Boulevardzeitung mit ins Boot und forderte keine geringere als die Bundesregierung auf, dieses – selbst hochstilisierte – Türklingel-Datenschutz-Chaos doch bitte zu beenden.
Der Vorfall um die angeblich durch die DSGVO verbotenen Klingelschilder wurde immer größer, weiter angeheizt durch diverse Boulevard-Zeitungen. Täter: DSGVO, Opfer: Klingelschilder, die stellvertretend für arme Bürger stehen, die ungerechtfertigt und ungefragt beeinträchtigt werden. Schließlich sprach die EU-Kommission ein Machtwort: Klingelschilder sind nicht als automatisierte Datenverarbeitung zu sehen und deswegen greift die DSGVO hier nicht. Mieter konnten schon lange vor der DSGVO fordern, dass ihre Namen von den Klingelschildern gestrichen und durch eine Apartmentnummer ersetzt werden, wenn sie dort nicht stehen möchten. Solange sie für ihre Vermieter erreichbar sind, ist ein namenloses Klingelschild kein Problem. Die Berliner Datenschutzbehörde empfahl nach der Stellungnahme der EU-Kommission, dass Neumietern kulanzhalber angeboten werden könnte, ob sie denn ihren Namen oder ihre Apartmentnummer auf einem Klingelschild sehen möchten. Doch bei der öffentlichen Debatte gingen diese sachdienlichen Hinweise unter – das Problem war inzwischen ein ganz anderes.
Von EU-Gurken und DSGVO-Klingelschildern
Die emotionale Debatte hatte sich schon lange abseits der Datenschutz-Diskussion um Klingelschilder auf die DSGVO selbst eingeschossen und schaukelte sich schließlich so hoch, dass sich sogar diverse Politiker dazu äußerten. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, brachte es auf den Punkt: "Offensichtlich geht es hier einmal mehr darum, die Menschen mit derartigen Absurditäten zu verunsichern und substanzlos gegen die neue EU-Datenschutzgrundverordnung zu wettern“. Denn in der Tat steht dieser Türklingel-Vorfall stellvertretend für den DSGVO-Unmut, wie damals die Aufregung um die Gurkenverordnung. 1988 wurden von der EU Normen für die Gurkenkrümmung festgelegt, die zwar seit 2009 nicht mehr in Kraft sind, EU-Hassern aber dennoch immer wieder als Schlagmichtot-Argument gegen die EU dient. So ist es nun auch mit den Klingelschildern. Fakten interessieren hier viele leider schon lange nicht mehr. Dabei würde ein Blick auf die positiven Neuerungen der DSGVO guttun – denn die, die sich über den Klingelschild-Vorfall aufregen sind es meist auch, die Angst um ihre persönlichen Daten haben, die die DSGVO ja schützt. Aber da die DSGVO ja ein Einfall der EU war, ist bei den immer gleichen Grantlern das Feuer sowieso schon am Lodern, denn die EU hatte ja vorher schon den Unsinn mit den Gurken angezettelt.
Wir plädieren daher für ein bisschen mehr Hintergrundwissen – und ein wenig mehr Gelassenheit. Besuchen Sie doch Tante Erna, trinken einen Likör mit ihr und schwatzen über ihre Zipperlein, die plötzlich ganz unwichtig erscheinen. Wo Sie klingeln müssen, wissen Sie jetzt ja. Der Name steht immerhin wieder am Klingelschild.
Autorin: Kathrin Strauß
Artikel veröffentlicht am: 09. September 2019